Kontrastprogramm zu gestern. Wir hatten keinen Regen und angenehmen Rückenwind. Die Straßen waren weiterin in schlechtem Zustand, aber es gab weniger Verkehr. Der Himmel war grau, die Landschaft lud nicht zum Fotografieren ein. Da bleibt Zeit für Überlegungen zur schnellen Genesung, zum Aufgeben, den Olympischen Spielen und zum Genießen einer fremden Stadt.

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Raus aus Sudbury

Clarion Hotel in Sudbury, Ontario

Clarion Hotel in Sudbury, Ontario

Die Nacht war angenehm und ich schief bis zum Weckerläuten. Danach geschah alles routinemäßig, außer dass es mit der Radiosendung Probleme gab. Hadschi bekam nur den ersten meiner vier Beiträge und außerdem sei er gerade nicht im Dienst. Ich bekam von ihm zwei Namen genannt samt e-Mail-Adresse. Nun schrieb ich diesen beiden etwas zu unserer Tour und verschickte auch die vier Beiträge. Dies kostete Zeit.

Trocken war es und fast schon warm. So fuhren wir los, wobei es knapp 15 Kilometer durch Sudbury ging und zwar immer über Nebenstraßen. Josefs Navi lotste uns über die kürzeste Verbindung zur Autobahn. Diese kürzeste Verbindung war aber sehr hügelig. Wahrscheinlich machten wir die Hälfte aller Höhenmeter bereits in Sudbury.

Rückenwind

Rückenwind. Herrlich! Wir hatten einen Schnitt von über 18 km/h drauf. So lässt es sich reisen. Etwa 27 Kilometer nach dem Start lockte uns eine Hütte links der Autobahn mit dem einladenden Schild „OPEN“ und dem Reizwort „Coffee“. Es war einer der unzähligen Shops nahe der Autobahn mit ein wenig Food und Filterkaffee. Zu dritt stürmten wir die Lokalität. Wir waren die Einzigen hier. Fischereiware gab es hier größtenteils und Messer. Natürlich gab es Kaffee. Ich schlug auch beim Eis zu und kaufte mir eine cornettoartige Tüte.

Spendabler Shopbetreiber

18 km östlich von Sudbury, Ontario

18 km östlich von Sudbury, Ontario

Der Besitzer redete angeregt mit Josef und er redete ganz viel über Österreich und die Trapp-Familie und „Sound of Music“. Josef hatte offenbar erzählt woher wir kommen. Ich gesellte mich hinzu um zu zahlen. Der Typ hier war ein Weitgereister und er interessierte sich für andere Länder und Sprachen. Er konnte fließend Englisch und Französisch und somit unterhielt er sich dann angeregt mit Frederic.

Wir verbrachten übergebührend viel Zeit in diesem Shop, denn es war nur ein kurzer Kaffee geplant. Nun aber schenkte er jedem von uns eine kleine Flasche hochwertigen Orangensaft und Frederic musste seinen Kaffee erst gar nicht bezahlen und ohne dass er viel von unseren Charity-Sachen wusste, griff er in die Kassa und gab uns 20 Dollar in bar. Wir dankten alle drei gleichzeitig. Dann mussten wir ihm die Tretroller zeigen, denn er dacht, wir seien einfach nur mit Fahrrädern unterwegs wie so viele vor und nach uns auch. Da staunte er nicht schlecht und probierte es gleich aus. Lustig war es hier.

Noch zwei Pausen und dann zum Tagesziel

So stellte ich mir alle Häuser in Kanada vor... 30km östlich von Sudbury, Ontario

So stellte ich mir alle Häuser in Kanada vor… 30km östlich von Sudbury, Ontario

Letztlich fuhren wir aber doch wieder weiter. Ich kürze jetzt massiv ab, da der Tag wirklich nichts Nennenswertes zu bieten hatte. Eine schnelle Pause machten wir in Warren, wo wir uns bei einer Tankstelle niederließen und uns an einem Tisch im Freien ausbreiteten und genüsslich unsere eigenen Speisen vertilgten. Da ich dem Betreiber gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte, kaufte ich zwei Kaffees und ein Eis. Die Kaffees tranken, wie üblich, Frederic und ich. Wir waren verdammt gut in der Zeit. Die Uhr zeigte 10:45 und wir hatten schon beinahe die Hälfte der Strecke.

30km östlich von Sudbury, Ontario

30km östlich von Sudbury, Ontario

Die nächste Pause war dann auch schon die Mittagspause bei km 90 in West Nipissing. Wir labten uns bei einem Tim Hortons. Das Lokal wählten wir auch wegen des WLANs. Nur Josef konnte sich verbinden. Frederic und ich schauten nur blöd. Zu gerne hätte ich gewusst, ob die Leute vom Radio geantwortet hatten. Mich stresste das aber nicht, denn wir wären heute wohl sehr früh in North Bay. Dort könnte ich mich verbinden und viel früher nach Wien schreiben als angenommen.

Nach diesem Stopp folgte keine Pause mehr und wir fuhren nach North Bay, einer durchaus großen Stadt mit so zirka 60.000 Einwohnern. Bevor ich zu North Bay und dem Rest des Tages komme, muss ich noch einen Einschub anbringen.

Wie ist das mit dem Aufgeben?

Feuerwerk gibt es überall. Ontario

Feuerwerk gibt es überall. Ontario

Gestern ging es mir wirklich nicht gut, heute hingegen fuhren wir unbeschwert ein sehr hohes Tempo, hatten bei der Ankunft nach 126,5 Kilometern einen Schnitt von 18,4 km/h. Wie ist das möglich? Hatte ich gestern zu stark aufgetragen im Verfassen des Berichts oder nahm ich einen Zaubertrank? Keines von beiden. Das Hauptproblem war mein Auge gestern. Da konnte ich wirklich nicht abschätzen, wie arg das Problem wäre. Das alleine machte mich in gewisser Weise ängstlich. Heute hatte ich null Probleme. Dann war das zum Glück nur etwas Kleines, das im Augenblick aber ganz groß war. Die andere Sache war die Stimmung des Aufgebens. Nun, da hatte ich mich vielleicht zu drastisch ausgedrückt. Ich zog nie in Erwägung aufzugeben. Sehr wohl aber meinte ich, dass ich in Sudbury bleiben würde und keinen Kilometer weiterfahren würde.

es herbstelt. Ontario

es herbstelt. Ontario

Auf Facebook und auch in anderen Kommentaren sprachen mir einige Leute Mut zu und dass ich nicht aufgeben dürfe. Das ist wirklich nett. So will ich ein wenig versuchen zu erklären, warum das echte und endgültige Aufgeben so fern der Umsetzung ist. Ich bin definitiv nicht der Typ, der alles eisern bis zum Ende durchzieht und in aller Härte meint: „Aufgeben tut man nur einen Brief“. Nein, ich gebe schon auch auf, nie aus einer Laune heraus, sondern immer wohl überlegt.

Unser Projekt sieht nun am 37. Tag so aus, dass die 130 Kilometer überhaupt kein Thema sind. Man merkt das zum Beispiel am letzten Abschnitt bei 92 Kilometern, wo wir sagten: „Super, jetzt sind es nur noch 38 km. Fahren wir los.“ Alles hat sich verschoben. Alles ist irgendwie so aberwitzig. Nichts ist mehr mit dem normalen Leben zu vergleichen oder dem normalen Tretrollern. Man erkennt dies an unseren Tagesablauf. Früh aufstehen im Finsteren, Essen im Bett, Zusammenpacken, Anziehen, Trinkflaschen mit Leitungswasser anfüllen, Roller bepacken, raus auf die Straße, auf Start drücken und den Sonnenaufgang erleben.

Blick auf den Lake Nipissing, Ontario

Blick auf den Lake Nipissing, Ontario

Der Tag ist ja auch irrsinnig. Immer nur in Bewegung sein, kaum Zeit zum Fotografieren, von einer seltenen Pause zur nächsten Rollern, dazwischen in einen Supermarkt Essen kaufen, eigentlich auch immer desselbe Essen, also Bananen, Äpfel, Brot, Wurst, Erdnussbutter. Abends dann Unterkunft suchen und finden, auspacken, duschen, essen, schweigen, schlafen. Bei mir kommt dann noch hinzu, dass ich, so wir in einem Motel oder Hotel sind, mich im Klo einsperre und Bericht tippe während die anderen schlafen.

Blick auf den Lake Nipissing, Ontario: Das Weiße im Wasser ist Sonnenlicht, da die Wolkendecke kurz unterbrochen war

Blick auf den Lake Nipissing, Ontario: Das Weiße im Wasser ist Sonnenlicht, da die Wolkendecke kurz unterbrochen war

Wenn man in diesem Wahn drinnen ist, dann kann einem Regen oder Gegenwind nichts anhaben, Kälte auch nicht, rinnende Nase ist wurscht und ein rotes Auge ist auch egal. Schwer zu erklären. Das ist nicht, dass man den Harten Mann spielen muss. Nein, man passt auf, schaut, dass es dem Körper gut geht. Aber irgendwie ist alles verschoben von den Wertigkeiten und Wichtigkeiten. Und vielleicht hat diese innere Haltung auch die Kraft zur schnellen Genesung oder Heilung und vielleicht verhindert sie sogar den Ausbruch von Krankheiten. Momentan kommt es mir so vor, wenn ich mir den heutigen Tag anschaue, wo wir alle sehr kräftig die 130 Kilometer heruntergetreten hatten. Aber bitte, ich will ja nichts verschreien.

Blick auf den Lake Nipissing, Ontario

Blick auf den Lake Nipissing, Ontario

Vielleicht noch ganz schnell ein paar Beobachtungen zu anderen Veränderungen. Unsere Trikots und Hosen bleichen aus in der stundenlangen Sonne jeden Tag. In gleicher Weise werden unsere Arme und Beine sonnengegerbter. Frederic fällt an mir deutlich auf, dass die Wadenmuskeln viel stärker sichtbar sind. Da ich selbst keinen Zugewinn ausmachen kann, meinte er dann auch, mein Körperfett könne weniger geworden sein. Ja, das wird so sein. Beim Blick in den Spiegel merke ich, dass mein Gesicht weniger unterfüttert ist als normal. Ich werde also Fett abgebaut haben. Ja, Körper, aber auch Geist, adaptieren sich. Jetzt bin ich in einem Zustand, wo das Aufgeben nicht so schnell eintreten kann.

North Bay und „Sight See-ing“

North Bay, Ontario

North Bay, Ontario

So, zurück nach North Bay. Kaum waren wir in der Stadt, bog Josef mit Handy in der Hand auch schon rechts ab und ließ sich zielgerichtet runterrollen. Wir folgten ihm. Typisch ist ja, dass er nichts von seinen Plänen sagt. Hatte er ein Motel? Hatte er einen Supermarkt? Gab es etwa eine Sehenswürdigkeit, die es lohnt sofort gesehen zu werden? Für mich war zunächst einmal der Weg schon das Interessante. Die Häuser waren ähnlich wie in Teilen Irlands oder Hollands aus dunkelrotem Sichtmauerwerk. Überhaupt war der einheitliche Baustil interessant. Veranden gab es und Vordächer, meist gab es keine Zäune zwischen den Grundstücksgrenzen und auffallend war, dass die Autos, Wohnmobile, Wohnwägen und Boote einen wichtigen Stellenwert hatten. Die Fahr- und Schwimmzeuge protzten in und neben den Häusern.

North Bay, Ontario

North Bay, Ontario

Alles fand ich interessant, auch die Stromleitungen, die überpräsent waren. Zum Fotografieren blieb aber keine Zeit. Josef war zu schnell, einmal rechts, dann wieder zweimal links, tendentiell immer bergab. Es ging richtung Lake Nipissing, an dem North Bay liegt. Langsam dämmerte es mir. Das war jetzt genau so wie in Winnipeg mit dem tollen Stadtviertel. Josef fährt durch, damit man es gesehen habe. Für Fotografieren bleibt keine Zeit. Wozu denn auch?

North Bay, Ontario

North Bay, Ontario

Ich spielte da jetzt nicht mit und packte die Kamera aus, knipste ein bisschen, hoffte, später noch einmal schnell alleine eine Stadtreise machen zu können. Aus Winnipeg hatte ich gelernt. Besser jetzt Fotos schießen, denn mitunter komme ich nie wieder in diese oder jene Straße. Genau so war es. Wir hielten an und Josef meinte, jetzt müssen wir ein Hotel suchen und einen Shop zum Essen kaufen. Ein Hotel war gleich hier. 115 Dollar kostete ein Zimmer mit Blick zum See, der ja wie ein Meer ist. Günstig, aber da wird es wohl Billigeres geben hier im Ort, denn einen Seeblick brauchen wir gar nicht.

North Bay, Ontario

North Bay, Ontario

Zwei junge Herren interessierten sich für unsere Roller. Wir ließen sie fahren. Mit einem gscheiten Hoteltipp konnten sie uns nicht helfen. Ziellos fuhren wir durch einige Gassen, kamen auch zu einem Platz wo laut Navi ein Hotel sein sollte. Dort waren nur Hinweise auf ein einstiges Hotel. Fündig wurden wir dann gleich neben dem Highway 17, wo wir ursprünglich gefahren waren. Das Zimmer kostete 123 Dollar, dafür konnten wir einen Indoor-Pool benützen und Frühstück am nächsten Morgen war auch dabei, schon ab 06:00.

Hotel

Praktischer Weise war das Zimmer im Erdgeschoss und wir konnten die Roller über die Terrassentüre ins Zimmer bringen. Duschen, Wäsche waschen, Fernsehen, Internet checken und dann einkaufen Gehen im nahen Independent-Supermarkt. Vom Radio hatte mir niemand geschrieben. Unbeirrt nahm ich einen Beitrag zum heutigen Tag auf und versendete diesen.

Blick aus unserem Hotelzimmer zum Wäschetrocknen. Hotel Travelodge, North Bay, Ontario

Blick aus unserem Hotelzimmer zum Wäschetrocknen. Hotel Travelodge, North Bay, Ontario

Heute bin ich an der Reihe mit dem am Boden schlafen. Auch so eine Aberwitzgkeit. Naja. Wir futterten in uns hinein, die beiden auf ihren Betten, ich am Sessel. Und wärenddessen schauten wir die Olympischen Spiele. Sensationell war es wie der Südafrikaner Wayde van Niekerk Weltrekord über 400 Meter lief. Gänsehaut und Begeisterung. Und eine halbe Stunde krönte sich wieder Usain Bolt zum Olympiasieger über 100 Meter. Fein, live dabei gewesen zu sein. Ich bin ja ein ganz großer Bolt-Fan, wie ganz, ganz viele Leute. Toller Typ. Hoffentlich nicht gedopt. In Europa war dies ja mitten in der Nacht. Wir sind da bevorzugt und schauten zur besten Abendszeit. So, Ende des Tages. In drei Tagen sind wir in Ottawa und dann sind die Tage und Stunden unserer langen Reise echt schon angezählt.

Ach, ja. Fotos gibt es deshalb so wenig, da sich landschaftlich echt nix bot und wir einander gegenseitig auch schon so oft fotografiert hatten. Das trübe Wetter ließ alles so unspektakulär erscheinen, bis auf ein paar Autos und später vereinzelt die paar Häuser…

 

6 Kommentare
  1. Avatar
    Oskar Jenisy sagte:

    Lieber Guido,. du motzt immer, dass du keine Zeit hat zum Fotografieren…. das liegt an der falschen Ausrüstung…. mit 4 Kameras nach allen Himmelsrichtungen und Fernauslöser am Lenker könntest du JEDE MENGE Fotos produzieren….. Also, für deine kommende Australientour einfach technisch ein wenig aufrüsten.
    So, noch viel Kraft für die letzten Kilometer….. LG,. OJ

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  2. Avatar
    Stefan Keller sagte:

    Lieber Guido
    Ich habe Dein Projekt nis jetzt nur am Rande mitbekommen. Bis ich vorgestern die Zeit nahm, einen Bericht zu lesen und ich muss sagen, dass es mich gleich gepackt hat. Das ist aufregend wie ein Roman oder ein Bericht im National Geograpgics. Ihr habt jetzt auch einen Follower in der Schweiz.
    LG Stefan

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    • Guido Pfeiffermann
      Guido Pfeiffermann sagte:

      Lieber Stefan. Das freut mich sehr. Mit dem Schreiben bin ich ja etwas in Verzug. Es gibt eine ganz, ganz tolle Geschichte von einem Schweizer Paar Vater und Sohn. Kommt erst. Und heute sprach uns ein Kanadier an, der aus der Schweiz kommt. Er plauderte mit Frederic Französisch und mit mir Deutsch. Einfach toll! So ist das mit den Trotinettes… LG Guido

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