Einmal muss Schluss sein. Das war schon zu Beginn klar. Wie das Ende genau sein würde und wie es mir dabei erginge, konnte ich mir nie so recht ausmalen. Manche Emotionen lassen sich voraussehen, andere nicht. Diese Reise, dieses Projekt, diese Herausforderung, dieses ganze Drumherum war so einzigartig und unvergleichlich, dass ich mir das Emotionale dazu nie hatte vorstellen können. Seit heute weiß ich wie sich dieses Ende anfühlt.

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…folgt noch

Zwei Teile

Ich muss den heutigen Tag in zwei Teilen beschreiben, denn er war für mich wie zwei Tage. Der erste Teil nennt sich „Abschied“, der zweite „Quebec-City“. Eine sinnige Überschrift zum Tag, die beides vereint, finde ich nicht. Also beginne ich mit dem Abschied.

Tagwache

Um 5:20 läutete Josefs Wecker mit einer Melodie, die uns bestens vertraut ist, hörten wir sie die letzten sieben Wochen jeden Morgen. Diese Nacht hatte jeder sein eigenes Zimmer und Josef und mich trennten zwei Türen. Trotzdem wurde ich sofort munter, wohl auch, da wir alle so konditioniert sind, um diese Zeit einfach nicht mehr tief zu schlafen. Mein Wecker wäre erst um 5:55 dran. Obwohl Frederic und ich erst so gegen 8 oder 9 frühstücken würden, war für uns klar, dass wir Josef verabschieden wollen.

Josef klopfte nach sechs an meiner Tür. Ich war schon angezogen, das Licht war an und ich bearbeitete Bilder am Laptop. Er kam mit der Kanadafahne und einem schwarzen Stift. Gestern am Sankt-Lorenz-Strom war die Fahne nass und ich konnte darauf nicht unterschreiben. Jetzt ging es. Ich schrieb „Thank yo for all. Guido 25.8.16“. Josef war abmarschbereit, in voller Tretroller-Montur und mit seiner einzigen, großen Tasche und eben dieser Fahne. Ich sagte ihm, ich werde seinen Wecker vermissen und das Essen im Bett, dieses hastige, und überhaupt den Morgenstress. „Really?“, „Not really!!“

Neuville, Quebec: "Good Bye, Josef. And thank you for all!"

Neuville, Quebec: „Good Bye, Josef. And thank you for all!“

Wir gingen rauf. Frederic war auch schon munter. Außer uns schlief noch alles im Haus. Stephanie und Emmanuel hatten erst nachmittags Arbeit. Wir gingen alle in die Garage. Schnell war die Tasche am Roller fixiert und noch schneller hatte Josef den Helm auf. Frederic öffnete das elektrische Garagentor, Josef gab mir die flüchtig die Hand und war mit dem Rest des Körpers, vor allem aber mit dem Blick, schon draußen vor der Garage, schon draußen auf der Straße, schon draußen am Highway.

Abschied von Josef

Neuville, Quebec. Josef startet seine Bonus-Reise zum Atlantik

Neuville, Quebec. Josef startet seine Bonus-Reise zum Atlantik

Nein, so schnell entkommt er mir nicht. Rührige Worte gehören dazu, wobei dies auf Englisch immer sehr gekünstelt und ein Gestammel ist. Bei mir jedenfalls. Meinen Fotoapparat hatte ich auch eigens mit. Ich meine, es muss doch ein „Good Bye“-Foto geben! Okay, gedacht, getan. Ich bedankte mich bei Josef nochmals und vergaß nicht zu erwähnen, dass dieses Projekt für mich ein ganz, ganz großes ist, etwas Grandioses und Unvergleichliches und dass es dies ohne ihn nie gegeben hätte. Dann drückte ich Frederic die Kamera in die Hand, umarmte Josef für eine Sekunde, denn mehr war einfach nicht drinnen bei ihm, schließlich schoss Frederic ein ganz nettes Foto von uns beiden. Danach kam Frederic dran. Von ihm gabs kein Foto und die Umarmung war nicht länger als bei mir. Frederic brachte nicht viel mehr als ein „Thank you“ heraus und wir beide wünschten ihm eine gute und sichere Fahrt.

Ich muss weinen

Neuville, Quebec. Frédéric: "This is the end..."

Neuville, Quebec. Frédéric: „This is the end…“

Auch er bedankte sich und zog eilig davon. Einmal drehte er sich noch um. Wir winkten. Er erwiderte. Dann war er außer Sichtweite und wir gingen zurück in die Garage, ließen diese automatisch schließen. Ich kämpfte mit den Tränen. Dann sagte Frederic „This is the end“. Und dann heulte ich so richtig los. Ich wusste, dass das kommen musste, nur dachte ich nicht an diesen Zeitpunkt, an diese Situation. Heulen heißt, dass ich kein Wort herausbrachte und nur ein Japsen und von beiden Wangen blitzartig das Wasser lief. Ich deutete nur mit dem rechten Zeigefinger auf mein Gesicht. Dann entschwand ich im Keller, machte die Tür hinter mir zu und tränkte vier Papiertaschentücher. Frederic war in sein Schafgemach gegangen. Drei Stunden später sahen wir einander wieder.

Diese drei Stunden verbrachte ich mit Computerzeugs. Bilder bearbeiten und kommentieren und ein wenig Schreiben. So ab 8:45 hörte ich vom Erdgeschoss reges Leben. Mindestens Stepanie, Emmanuel und Frederic waren da oben irgendwie tätig und taten dies und das und redeten miteinander. Ich machte schnell noch irgend etwas am Computer fertig und reparierte dann halbwegs mein verplärrtes Gesicht. Dann ging ich rauf, denn ewig könne ich ja nicht da unten hocken und Frühstückshunger hatte ich auch.

Frédéric war das alles auch nicht egal

Frühstück gab es noch keines, auch keinen Kaffee. Die kleinere der beiden Töchter saß am Esstisch und spielte mit dem iPad, Stephanie und Frederic saßen auch hier, Emmanuel g’schaftelte in der Küche. Er ist ein ziemlich penibler Kerl und findet stets etwas wegzuräumen, abzuwaschen, zu ordnen, zu putzen oder alles zusammen. Wir wünschten einander einen guten Morgen. Emmanuel nahm diverse Orders entgegen. Spezial-Spiegeleier würde es geben, Toast sowieso und vieles mehr und selbstverständlich Kaffee.

Ich setzte mich zu den Dreien. Als der Kaffee fertig war, nahmen sich Frederic und ich ein Häferl. Wir setzten uns draußen hin, zum Tisch der Terrasse. Da sah ich, dass Frederic ganz verschwollene Augen hatte, sehr glutig. Bei seinen hellblauen Augen sehen gerötete Augen ganz besonders dramatisch aus. Mir war alles klar. Ich hatte ihn wohl angesteckt oder aber es wäre ihm so oder so passiert. Schließlich ist er ein sehr sensibler Typ und oft extrem weich und empfindlich. Wir schauten einander kaum an und redeten über nichts oder bestenfalls Belangloses. Als ich irgendwann anmerkte, dass ich ein Zimmer in einem Hostel gefunden hätte und nach dem Frühstück losfahre, merkte ich wie sehr ihm das unrecht war.

Lukullischer Morgen

Zum Glück ging es nun auch schon mit dem eigentlichen Frühstück los. Das war eine sehr willkommene Ablenkung, vor allem da Stephanie so viel zu reden hatte. Die Spezial-Spiegeleier waren nicht ganz mein Fall, da sie aus sehr viel Käse bestanden. Den schnitt ich weg und gab ihm doppelt gerne Frederic. Er liebt Käse und dieser hier war wohl ein besonders guter.

Das Frühstück war in einer gewissen Weise sehr Französisch und sehr Kanadisch. Wen wundert es? Das typisch Französische ist, so weiß ich seit Frederics Ausführungen, dass Baguettes, Weißbrot, Toasts und Vergleichbares mit Butter bestrichen in den Kaffee getunkt werde. Ich kenne das ja nur ohne Butter. Eigentlich dachte ich, nur Frederic mache das so und rechtfertige sich für dies Merkwürdigkeit mit einer Art Französischen Normalität. Jetzt machten es die beiden Gastgeber auch. Emmanuel erklärte mir, dass man dies ganz normal zu Hause mache. Ist man auswärts, so reiße man sich eben zusammen.

Das Kanadische war dann ein Marmeladebrot mit Käse. Dies aß Stephanie. Und mitunter Kanadisch waren auch die beiden Kaffees von Frederic und mir. Wir gaben uns keine Milch hinein, sondern Sojamilch mit Vanillegeschmack. Ich fand das gar nicht einmal so schlecht und mengte mir zum Nachschlagkaffee abermals Vanille-Soja-Milch hinzu. Vielleicht ist das gar nicht Kanadisch. Stephanie erklärte mir nur, dass die in Quebec lebenden Kanadier ganz, ganz große Mischer sind. Sie kombinieren alles miteinander. Das ist in der Musik so und ganz besonders beim Essen. In beiden Fällen gibt es nichts typisch Kanadisches. Vielmehr ist der Mix aus unterschiedlichsten Zutaten das Typische. Die Spezialität in Quebec ist Poutine. Das sind Pommes Frites mit Käse drüber und Gravy-Soße. Sehr gerne hat man hierzulande Erdnussbutter. Die habe auch ich sehr gerne. Und so griff ich freudig zu und aß auch Toast mit Erdnussbutter.

Warum erzähle ich das nur? Erstens um von der Gratwanderung abzulenken, die Frederic und ich die ganze Zeit über beschritten, nämlich Tränen zu produzieren oder eben nicht. Zweitens halte ich es da ganz mit Frederic, der am Reisen am meisten schätzt, wenn er den Alltag der Leute kennen lernt. Deshalb geht er lieber in irgendwelche Beisln und nicht zu Mc Donald’s.

Nach dem Frühstück saßen dann wir drei Männer zusammen. Frederic und ich holten uns noch Nachschlag in Form mehrerer Toasts. Härtere Weißbrotfladen waren das, eher dick, die knusprig und an den Rändern sehr angedunkelt aus dem Toaster mit den extrabreiten Schlitzen kamen. Ich beschmierte sie mir mit ausgezeichnet guter Erdbeermarmelade, Frederic überlud sie mit Butter. Ja, und Emmanuel, der eine Runde im Pool schwimmen war, sich nicht abtrocknete und waschelnass essenslos bei uns saß, erzählte, wie sehr sie alle den kurzen Sommer schätzen. Die Winter hier seien extrem kalt, minus 30 Grad sind fast der Normalfall, und schneereich. Zwei Meter und mehr sind normal.

Vorbereitungen zu meiner Abfahrt

Nun waren die letzte Tasse geleert und die letzten Brösel aufgegessen. Ich ließ die beiden Französischen Freunde zurück um meinen endgültigen Abgang vorzubereiten. Frederic würde noch ein paar Tage bei Emmanuel bleiben und ans Tretrollerfahren denkt er gar nicht, auch Quebec-City ist irgendwie fern für ihn.

Ich ging es gemütlich an, putzte mir die Zähne, zog mich Crossing-Canada-mäßig an, packte alles zusammen und trug sämtiche Taschen ins Erdgeschoss. Währenddessen dachte ich nach, warum ich so losplärrte, gerade bei Josef und ich überlegte mir auch, wie extrem arg es gleich sein würde bei Frederic, wo wir einander wohl gegenseitig befruchten in dieser Weise. Da hatte ich die Antwort. Josef bleibt in Kanada und vielleicht sehe ich ihn in diesem Leben nie wieder. Vielleicht sehe ich ihn schon noch wieder, wenn er zurück geht nach Tschechien oder wenn er einmal auf Urlaub in der alten Heimat sein sollte und es sich bei mir einrichten lässt, ihn dort zu besuchen. Kann ja auch sein, dass er einmal nach Wien kommt. Ganz anders ist es bei Frederic. Irgendwie stand es ja immer im Raum, dass wir beide uns wieder sehen werden, wahrscheinlich sogar nächstes Jahr.

Warum weinte ich so sehr?

Ausschlaggebend für meinen schluchzenden Tränenausbruch war, dass es viel wahrscheinlicher ist, dass wir uns nie zu dritt sehen werden, also entweder treffe ich einmal Josef oder einmal Frederic, aber nie treffen wir drei uns gemeinsam, rein aus logistischen Gründen. Und für ein ganz bewusst inszeniertes Dreiertreffen ist die Bindung zwischen uns zu klein. Es bleibt dabei. Wir sind keine echten Freunde. Wir waren für die gemeinsame Zeit ganz, ganz tolle Kameraden. Ja, und innerlich wird mir knapp nach sechs Uhr in der Garage klar gewesen sein, dass dieses Dreierteam mit ganz hoher Wahrscheinlichkeit genau jetzt zum letztenmal in diesem Leben zusammen war.

Man trifft ja ständig Menschen, gerade auf Reisen, wo man weiß, diese nie, nie, nie wieder zu sehen. Auch sehr nette Menschen. Das nimmt man einfach so hin. Das ist normal und das ist gar nicht traurig. Leider trösteten mich solche Gedanken nicht, denn Josef, Frederic und ich waren Tag und Nacht zusammen, sehr intensiv, nicht zuletzt am Tag Frederics Epileptischer Anfälle. Ja, wir als Team waren schon etwas Besonderes. Und dann gab es die unzählig vielen gemeinsamen Erlebnisse, zum ganz großen Teil sehr schöne Erlebnisse. Wir werden wohl nicht immer wieder einmal zusammensitzen beim Wirten und über die guten, alten Zeiten reden, zumindest nicht zu dritt werden wir sitzen. Das ist schade und traurig. In der Sekunde war es sogar unendlich traurig für mich.

Meine Abfahrt

Neuville, Quebec. Meine Abreise

Neuville, Quebec. Meine Abreise

Ich war gewappnet für die Verabschiedung von Frederic. Er ist herzlicher und er ist mir ans Herz gewachsen, ja, eigentlich war da schon die letzten fünf Jahre eine Bindung und wir erkannten täglich, wie gut es war, uns endlich persönlich kennengelernt zu haben. Garage auf, mit dem Roller raus auf die Straße, genau wie frühmorgens bei Josef. Jetzt waren auch Stephanie und Emmanuel dabei und auch das kleinere der beiden Mädchen. Die Umarmung mit Frederic war eine echte und keine gestellte für etwaige Fotos.

Neuville, Quebec. Gequältes Lächeln

Neuville, Quebec. Gequältes Lächeln

Ich grinste ihn an und sagte, dass ich mich schon auf Sumava freue im Oktober. Dort halte ich ja einen Vortrag über Crossing Canada, grausamerweise auf Englisch, und da könnte Frederic dabei sein. Wir beteuerten uns, wie großartig und schön dieser unser Trip gewesen war. Er wünschte mir noch eine gute und sichere Fahrt. Die wünschte ich ihm auch für alle Fahrten und er möge nicht mehr so depperte Epileptische Anfälle bekommen. Von den beiden Gastgebern verabschiedete ich mich auch, natürlich mit überschwänglichen, jedoch absolut ernst gemeinten, Worten des Dankes.

Ich zog ab, drehte mich winkend um und war dann alleine. Das Alleinesein war echt angenehm. Trotzdem war es mir nicht leicht in der Brust. Da drückte es überall und nach der ersten Kurve weinte ich wieder. „This is the end.“ Ja, wie wahr. Wirklich. Es ist aus. So definitiv wie nur irgendetwas aus sein kann. Bergauf ging es und ich schob, denn aus den Augen sah ich nichts mehr heraus.

Schon wieder weine ich los…

Mir gegenüber kam ich jetzt lächerlich vor. Da kommentierten auf Facebook sportliche Männer, zu denen ich aufsehe, dass sie von unserem Finishen nicht nur begeistert sind, sondern dieses „übermenschlich“ fänden. Ich fühle mich nicht nur wegen dieser Kommentare gut, sondern auch weil ich genau weiß, wie groß die Leistung ist. Und ich merke auch irgendwie, das ist jetzt echt schwer auszudrücken, dass ich größer und erwachsener, tapferer, stärker geworden bin, in gewisser Weise bin ich so etwas wie ein echter Abenteurer, so einer, der ich als Bub immer zu werden geträumt habe.

Und dieser große, tapfere, ja sogar „übermenschliche“ Abenteurer und Sportler beträufelte mit Tränen die Straße, weil er zu den beiden anderen Übermenschlichen einfach nur „Adieu“ gesagt hatte…

westlich von Quebec-City, Quebec. Diese hohe Eisenbanbrücke sahen wir schon gestern, nur bei schlechterem Wetter

westlich von Quebec-City, Quebec. Diese hohe Eisenbanbrücke sahen wir schon gestern, nur bei schlechterem Wetter

Nach fünf Minuten hatte ich mich wieder im Griff, auch wenn es den Rest des Tages immer noch kleine, augenfeuchte Nachwehen geben sollte. Wie gestern schon gab es Rückenwind, zusätzlich Sonnenschein, anfangs noch ein paar Wolken, nachmittags, wie sich zeigen wird, strahlend blauen Himmel. Meine Geschwindigkeit war eine geringe. Oft ließ ich mich lange ausrollen, schaute mir genüsslich die Gegend links und rechts an. Ich war jetzt mein eigener Chef.

Ohne Navigation nach Quebec-City

westlich von Quebec-City, Quebec. Diese hohe Eisenbanbrücke sahen wir schon gestern, nur bei schlechterem Wetter

westlich von Quebec-City, Quebec. Diese hohe Eisenbanbrücke sahen wir schon gestern, nur bei schlechterem Wetter

Einen sehr blöden Fehler machte ich ziemlich bald, ich glaube, es war sogar schon nach der Steigung, wo ich verschwommenen Blickes den Roller bergauf geschoben hatte. Ich drückte beim Handy auf „alle Fenster schließen“, wodurch ich mir das Offline-Navi abdrehte. Dies ging dann nicht mehr einzuschalten. Zwar sah ich die Karte und die Position, nicht aber die einst, als ich online war, berechnete Route. Es musste also ein Tim Hortons, ein Subway oder meinetwegen ein Mc Donald’s her.

So, Zeit für den zweiten Teil, der mit einer tollen Überraschung beginnt!

westlich von Quebec-City, Quebec. Diese hohe Eisenbanbrücke sahen wir schon gestern, nur bei schlechterem Wetter

westlich von Quebec-City, Quebec. Diese hohe Eisenbanbrücke sahen wir schon gestern, nur bei schlechterem Wetter

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